„Die Lage ist viel ernster, als wir glauben“ – so lautet ein Ausspruch von Nikolaus von Bomhard, Chef des großen Versicherungskonzerns Munich Re. Die Niedrigzinspolitik der Notenbanken bedeutet finanzielle Repression und Teilenteignung für Sparer.
Wer z.B. 1 % Zinsen für sein Erspartes erhält, während die Inflation 2 % beträgt, verliert jedes Jahr 1 %, er spart sich arm. Eine Anlage von 10.000 € entspricht nach 5 Jahren nur noch einer Kaufkraft von ca. 9.500 €, nach 10 Jahren ca. 8.700 € – vor etwaiger Abgeltungsteuer.
Die Niedrigzinspolitik kostet den deutschen Sparer lt. Berechnungen von Hans-Werner Sinn, Präsident des Münchener ifo Instituts für Wirtschaftsforschung, jährlich etwa 70 Milliarden € (vgl. http://www.finanznachrichten.de-2014-12/32195791).
Warum finanzielle Repression? Fast alle westlichen Staaten haben sich durch hohe Verschuldung von Banken und Versicherern abhängig gemacht. Deutschland hat 2.000 Mrd. € (das entspricht 2 Billionen) und alle EU-Staaten zusammen 90 Billionen € Schulden. Zur Besicherung begeben die Staaten Anleihen, in Deutschland bekannt als Bundesanleihen. Hauptabnehmer sind Versicherer, die Monat für Monat die Beiträge für insgesamt 90 Millionen Kapitallebensversicherungsverträge anlegen müssen. Obwohl Anleihen zurzeit weniger als 1 % Rendite abwerfen, ist per Gesetz festgelegt, dass Versicherer weit überwiegend in solche niedigverzinsliche Staatspapiere investieren müssen. Nur zu maximal 35 % dürfen Versicherer in Aktien anlegen, des vermeintlichen Risikos wegen. Tatsächlich liegt die Aktienquote aber nur bei 10 – 15 %, obwohl längst feststeht, dass Aktien längerfristig Renditen im Bereich 9 – 11 % p.a. – wenn auch unter Schwankungen – abwerfen. Dabei wären Aktienfondsanlagen für Versicherer in Anbetracht durchweg langfristiger Verträge geradezu ideal. Die Leidtragenden sind die Versicherungsnehmer, deren Renditen aus Lebensversicherungen durchschnittlich kaum noch die 3 % Marke übersteigen werden.
Nach Abzug von 2 – 3 % Inflation stellen Lebensversicherungen keine lukrative Anlage mehr dar, vor allem wenn man bedenkt, dass jeder seit 60 Jahren schon die Möglichkeit gehabt hätte, direkt in guten Aktienfonds anzusparen. Die Anlage von 1.000 € – nach Spesen – im ersten deutschen Aktienfonds, der im Wesentlichen in deutsche Standardwerte anlegt, wie z.B. Siemens, BMW, Bayer, etc., hätte in der Zeit vom 01.11.1950 bis 31.12.2014 zu einem Wert von 589.454 € geführt (Rendite 10,57 % p.a.) – vgl. insoweit auch Zeitschrift „EURO“ Nr. 12/2014 S. 71/72. Hier hat auch wieder der Zinseszinseffekt mitgeholfen. Die Anlage hat sich etwa alle 7 Jahre verdoppelt – vgl. auch die sog. 72-er Regel in „So schaffen Sie Vermögen“ (SSSV) S. 17 ff.
Und wer profitiert auf Dauer davon? Herr Schäuble spart durch den Niedrigzins für Staatsanleihen jährlich knapp 30 Mrd. €, die seinem Staatshaushalt zugutekommen. Aber ist Ihnen schon aufgefallen, dass er immer nur von der „schwarzen Null“ spricht, die Rückzahlung der hohen Staatschulden allerdings ausgeblendet wird? Das Faszinierende ist nun, dass sich die Staatsschulden allmählich wie von Geisterhand wertmäßig verflüchtigen. Damit diese Wirkungsweise überhaupt vom Normalmenschen verstanden werden kann, verwendet Rolf Dobelli in seinem Bestseller „Die Kunst des klaren Denkens“ einen kleinen Trick, der bei ihm auf der Zahl 70 basiert – in SSSV ähnlich auf der Zahl 72. Bei einer Inflationsrate von z.B. 2 % p.a. würde sich danach eine Schuld wertmäßig etwa alle 35 Jahre halbieren (70 geteilt durch 2 = 35), bei 3 % alle 23 Jahre und bei 4 % alle 17 Jahre etc. Je höher die Inflation, umso schneller geht`s. Vielleicht erkennen Sie jetzt, weshalb die Zentralbank an einer höheren Inflationsrate interessiert ist – vgl. auch Handelsblatt vom 5./6./7.12. 2014 S. 30 und ARD-Beitrag vom 04.07.2012 Prof. Hanno Beck. Besonders das beabsichtigte Fluten mit neuem Geld – die Fed in den USA hat es genauso gemacht – muss längerfristig zwangsläufig zu höheren Inflationsraten führen. Nun könnte man doch sagen: Es ist doch in Ordnung, wenn die Staatsschulden allmählich zurückgeführt werden – aber muss das unbedingt auf dem Rücken der Sparer ausgetragen werden?
Es gibt eine viel intelligentere Art der Schuldenrückführung, indem der Zinseszinseffekt durch das längerfristige Ansparen in Staatsfonds genutzt würde – wie es z B. der Norwegische Staat oder z.B. die Temasek-Holding in Singapur vormachen – vgl. dazu „SSSV“ S. 361 ff. Bei der Anlage von z. B. 200 Mrd. € könnten Deutschlands Staatsschulden von 2 Billionen € bei einer Rendite von ca. 10 % p.a. nach etwa 25 Jahren in einer Summe getilgt werden. Bei einer 2 % höheren Rendite würde es nur etwa 20 Jahre dauern, ohne dass die Sparer heute drangsaliert würden und wir unsere Kinder und Enkelkinder mit der Tilgung der verbleibenden Restschulden sitzen lassen. Wenn die Politik Verantwortungsbewusstsein gegenüber den kommenden Generationen besitzt, muss sie heute handeln oder zum Handeln veranlasst werden.
Wenn schon 450 Mio. Menschen auf der anderen Seite der Weltkugel unter Federführung von Chile den Zinseszinseffekt zum Wohle der dort lebenden Menschen vor ihren Karren spannen, dann könnten wir uns doch mindestens bequemen, uns mit dem dortigen System einmal ernsthaft zu befassen. Es bedarf einerseits nur einer Kontaktaufnahme mit dem renommierten Professor Charles B. Blankart an der Humboldt-Universität, welcher eine Diplomarbeit betreffend „Kapitalgedecktes Altersversorgungssystem in Chile“ begleitet hat. Andererseits steht einem Erfahrungsaustausch unserer Bundeskanzlerin mit der dortigen Präsidentin Michelle Bachelet aufgrund einer Art „Seelenverwandtschaft“ (vgl. Notiz in der FAZ vom 27.12.2013) nichts entgegen: Beide haben z.B. entscheidende Phasen ihrer Jugendjahre in der DDR erlebt, beide haben an der Humboldt-Universität studiert. Am 27.10.2014 fand auf Einladung unserer Bundeskanzlerin sogar ein offizielles Treffen in Berlin statt. Die Frage ist nur, ob sich die Politiker aufgrund der Verschuldungssituation aus den Fängen des Finanzkapitalismus befreien kann, selbst wenn sie es wollte!